Zürcher Kantonsratswahlen 2007 - erste Analysen
Meine erste Einschätzung der Resultate der Zürcher Wahlen zuhanden der politischen Mandatsträger der Credit Suisse, drei Tage nach dem Wahlsonntag als Präsentation. Ein Artikel im Tages-Anzeiger vom 20.4.07 bezieht sich darauf und gibt die wesentlichen Inhalte wieder.
Eine eidgenössische Spezialität im Wahlverfahren erzeugt ein Nebenprodukt des Stimmenzählens: die Panaschierstatistik lüftet eine kleine Ecke des Geheimnisses, das der Wahlakt des einzelnen Bürgers darstellt. Eine Analyse dieses Datenmaterials findet sich hier. Zum ersten Mal erfährt man etwas über die Wählerschaft der neuen Grünliberalen Partei...
Erfolgreiche Wahlhochrechnungen
Am 15.4.07 wurde in Zürich nicht nur gewählt und Resultate ausgezählt - es wurde zuhanden der neugierigen Politiker und Journalisten, die am liebsten alles schon wissen, bevor es passiert ist, auch hochgerechnet (TA vom 8.3.2007) . Eine Tätigkeit die dem Tages-Anzeiger sogar ein wohlwollendes Porträt wert war. Gottseidank verhinderten die Vorschusslorbeeren nicht, dass das Verfahren funktionierte, wie der Vergleich des Schlussresultates mit den bereits um 14 Uhr publizierten Hochrechnungen zeigt. Dasselbe gilt auch für die Regierungsratwahlen.
Ob die Kantonsratswahlhochrechnung, bzw. das dabei angewendete Verfahren, nicht nur die Wähleranteile, sondern - zumindest in der Tendenz - auch die wesentlichen Verschiebungen richtig prognostiziert (siehe Tages-Anzeiger vom 20.4.2007): Ich bin trotz aller sozialwissenschaftllichen Skepsis und methodischen Vorbehalte (Generationen von Statistikern haben sich mit dem Problem der ecological inference herumgeschlagen, die Literatur dazu ist uferlos) selber neugierig... .
Ob uns die von der SP versprochene Analyse Klärung diesbezüglich verschafft? Mir kommt das angesichts der Tatsache, dass die Verschiebung vom vergangenen Sonntag etwa 2.5 Prozent (d.h. 7.6% von 34% von 100% der Stimmberechtigten) des potentiellen Elektorats betrifft, vor, wie wenn man die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen sucht. Oder statistisch gesprochen: um sie zu finden, muss man ziemlich viel Heu sieben - oder eine sehr grosse Stichprobe ziehen.
Wählerstrommodelle als Grundlage für Prognosen und Analysen
Ist eine brauchbare Wahlhochrechnung auch eine zuverlässige Grundlage für eine Analyse? Meine Präsentation zur Methodik und meine Gedanken zu grundsätzlichen Fragen der sogenannten Wählerstromanalyse den Schweizer Statistiktagen in Luzern vom 16.11.2007 findet sich hier . Auch Claude Longchamp war dabei - und hat es sich nicht nehmen lassen, meine Hochrechnungen und Publikationen ausgiebig als Beleg für innovative Entwicklungen in der schweizerischen Politikanalyselandschaft zu zitieren (S.26ff). Der analytische Gebrauch des Wählerwanderungsmodells wird in einem Thesenpapier zuhanden der kantonalzürcherischen SP elaboriert. Es zeigt, dass die Verluste der SP in den Wahlen 2007 vor allem den Grünen zugutekamen - im Frühling wie im Herbst. Die Evaluation eines methodisch analogen Modells für die Zürcher Ständeratswahlen 2007 durch einen Vergleich mit parallel erhobenen Befragungsdaten (SELECTS) zeigt, dass die Methodik zumindest im Grenzfall gleichzeitig stattfindender Wahlgänge zu denselben Resultaten führt.
Minarettinitiative und Wahlen in den Regierungsrat
Der unerwartete Erfolg der Minarettinitiative gab ja im In- und Ausland einiges zu reden diese Woche - meine Diskussion der Zürcher Resultate auf empirischer Basis findet sich hier. Das Interesse an den gleichzeitig stattfindenden Ersatzwahlen in den Zürcher Regierungsrat hielt sich, im Vergleich damit, sowohl in Intensität wie Reichweite in Grenzen. Zumal bei den Wählern der nicht direkt betroffenen Parteien.
Reaktionen und Berichte zur Analyse in Claude Longchamps blog "zoon politicon", auf Radio DRS (3.12.09),in der Limmattaler Zeitung (3.12.09), in NZZ print (zur Regierungsratswahl) und online (zur Minarettinitiaitve), TA-online( 3.12.09).Siehe auch dieInterpellation betreffend Verhältnis der Reformierten zum Islam und dem zukünftigen interreligiösen Handeln nach der Minarett-Abstimmung – Antwort des Kirchenrates.
Die Vox-Analyse korroboriert im übrigen den Befund meiner Deutung der Zürcher Resultate der Minarettabstimmung: links-rechts, bzw. wohl genauer konservativ vs. progressiv und der soziale Status, d.h. wesentlich auch die Bildung beeinflussten das Abstimmungsverhalten. Weniger erfolgreich war hingegen die Hypothese von den islamkritischen "linken Frauen" , die unmittelbar nach der Abstimmung da (Regula Stämpfli) und dort (Michael Herrmann) herumgeboten wurde. In der Hitze des medialen Gefechts wird bisweilen die Empirie der freien Rhapsodie auf der Basis anekdotischer Evidenz geopfert - die natürlich, weil unüblich, viel mehr hergibt. Schön ist auch, dass im Nachhinein niemand etwas davon gewusst haben will.
In der Thurgauer Zeitung (online?) vom 9.12.09 wurde ein ziemlich untergeordneter Aspekt des Ganzen unter dem Titel die "Die Muslime und das tumbe Schweizer Landvolk" noch einmal aufgekocht. (Besten Dank für die "fleissigen Statistiker"...). Der Bericht gibt die Resultate insofern richtig wieder, als die einfache Beziehung: "je weniger Muslime desto mehr Ja" wahrscheinlich hinterfragt werden muss. Ob der Zürcher Befund für die gesamte Schweiz gültig ist - und den Kanton Thurgau im Speziellen, der die anekdotische Evidenz im zweiten Teil des Artikels spenden darf - wäre hingegen zu überprüfen. Was nicht ganz einfach ist, denn die aktuellsten kleinräumig verfügbaren Zahlen zur Religionszugehörigkeit der Bevölkerung sind mittlerweile auch schon zehn Jahre alt. Ebenso klar ist aber auch, dass ländliche, rurale, gesellschaftlich traditionell orientierte Gebiete der Minarett-Initiative eher zugestimmt haben als urbane. Nur nebenbei: Was mich immer wieder erstaunt, ist die intensive Nutzung der Kommentarfunktion bei gewissen Artikeln der online-Tagespresse das Mitteilungsbedürfnis, dass da zum Ausdruck kommt, erzeugt ja sozusagen kostenlos demoskopisches Datenmaterial bereits elektronisch verfügbar fürs text-mining. Man sollte das mal erforschen!
Was uns Steuerdaten sagen - und was nicht
Steuerdaten wären für jene, die am nervus rerum menschlichen Verhaltens interessiert sind, eine Art von Nord-West Passage zu ganz neuen Ufern. Wären - denn leider sind sie vorderhand nicht in geeigneter Form vorhanden, d.h. auf Haushaltsniveau über die Jahre verknüpfbar (siehe die Schlussfolgerungen meiner Publikation zum Thema). Konkret bedeutet dies, dass über das interkantonale Migrationsverhalten des wirklich guten Steuersubstrats kaum etwas bekannt ist. Ein Interview zur Problematik im Tages-Anzeiger vom 17.7.2008.
Seite 10 von 19