Welche Kandidaturen in einer Regierungsratswahl wieviele Stimmen erhalten haben, ist selbstverständlich bekannt. Doch welche individuellen Wahlentscheidungen dieses aggregierte Resultat erzeugen, habe ich für die Zürcher Gesamterneuerungswahlen vom Frühjahr 2019 erstmals mit unzweifelhaft zuverlässigem, weil aus dem offiziellen Resultatermittlungssystem stammendem Datenmaterial untersucht. Über die konkreten, sozusagen politisch unmittelbar verwertbaren Resultate meiner Analyse wurde von der NZZ und von watson ausführlich berichtet.       

Doch eine der Haupterkenntnisse der Analyse besteht darin, dass die politisch breite Zusammensetzung der Regierung nicht einfach ein Aggregationsphänomen ist, sondern von vielen Wählern bereits vorweggenommen wird: Rund 39% von ihnen entscheiden sich für Kandidaturen aus allen drei grossen politischen Lagern (links, Mitte, rechts) – und weil sie den Wahlzettel fast vollständig ausfüllen, kommt sogar mehr als die Hälfte der Stimmen von dieser Wählergruppe. Umgekehrt ist block-voting von geringer Bedeutung: nur 11% wählen Kandidaturen ausschliesslich einer Partei und nur 26% beschränken sich auf Kandidaturen aus einem der Lager  - mutmasslich, auch wenn sich das mit den Daten wegen des Stimmgeheimnisses nicht direkt zeigen lässt, jeweils der bzw. des eigenen. 

Dieser Befund ist zwar nicht wirklich überraschend. Denn bereits eine einfache Überschlagsrechnung mittels der Resultatübersicht zeigt ja,  dass im Schnitt etwa fünf der sieben Linien ausgefüllt sind – was nicht möglich wäre, wenn die Wähler angesichts des begrenzten Angebots nicht Kandidaturen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen mischen würden. Dieses begrenzte Kandidaturenangebot ist letztlich seinerseits eine Folge des antizpierten Wählerverhaltens, wie Rainer Eichenberger und seine Kollegen in mehreren Aufsätzen und Zeitungsartikeln zu diesem, von ihnen „Supermajorz“ genannten Wahlverfahren sehr schön ausführen. Müssen die Parteien[1] damit rechnen, dass ihre Wähler nicht nur die eigenen Kandidaturen oder auch nicht alle wählen, macht es keinen Sinn, soviele Kandidaturen wie Sitze vorhanden sind, zu portieren – denn sie riskieren damit nur eine Verzettelung der Stimmen. Am besten ist es dann, die Zahl der Parteikandidaturen etwa den maximal zu gewinnenden Sitzen anzugleichen. Weil die Wahlchancen der Kandidaturen grösser werden, wenn sie auch Stimmen aus anderen Lagern holen können, werden überdies tendenziell ideologisch „eingemittete“ Kandidaturen bevorzugt. Das ist – neben der Bekanntheit, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf – letztlich auch der Grund dafür, dass es selten vorkommt, dass Bisherige nicht wieder vorgeschlagen werden. Sie mögen zwar mitunter ideologisch am Rande ihrer Partei positioniert sein. Genau dies macht sie aber auch für einen grossen Wählerkreis akzeptabel – Das Paradebeispiel dafür ist Mario Fehr, der innerparteilich umstritten, mit einigem Abstand am meisten Wähler hatte. Diese Qualität der Kandidaturen führt in der Tendenz wiederum dazu, dass mehr Wähler über den eigenen Parteizaun hinausgrasen. Dies fliesst wiederum ins Kalkül der Parteien ein – der Prozess verstärkt sich in der Wechselwirkung selber.

[1] von denen allerdings keine eine absolute Mehrheit haben darf.