Die Schweiz befindet sich in einer Ausnahmesituation. Alle starren gebannt auf das Tagesbulletin zur Entwicklung der Fallzahlen der Epidemie. Zu ihrer Bewältigung hat der Bundesrat zumal seit dem 16. März im Rahmen der „ausserordentlichen Lage“ Massnahmen verordnet, die in alle Lebensbereiche engreifen. Auf einer etwas abstrakteren Ebene implizieren diese Eingriffe ein soziales Experiment von einem Ausmass und Umfang, wie es die Schweiz seit dem zweiten Weltkrieg wohl nie gekannt hat. Wir stehen mittendrin, nehmen alle daran teil - und wie es ausgehen wird, wissen wir alle vorderhand noch nicht.

Zweifellos ist das Gesundheitswesen in besonderem Masse betroffen, seine Leistungsfähigkeit auf die Probe gestellt. Doch hängt die Bewältigung der Krise letztlich entscheidend von den anderen gesellschaftlichen Akteuren, den Individuen, den Haushalten – d.h. uns allen - aber auch den Firmen oder den Medien ab. Deren Entscheidungen sind eng ineinander verzahnt und interdependent: So sind wir alle Konsumenten von Gütern und Dienstleistungen, die meisten von uns sind aber auch in deren Produktion involviert - sei es direkt als Angestellte, Selbständige oder Firmeninhaber oder auch nur mittelbar z. B. als Aktionäre.

Die möglichst umfassende Erfassung und Dokumentation der Entwicklungen, welche die Krise in allen Lebensbereichen potentiell auslöst, ist das Ziel des Projekts "Gesellschaftsmonitoring COVID19", das mich momentan beschäftigt. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen vom Statistischen Amt des Kantons Zürich und all den vielen anderen, die trotz der teils hohen Belastung durch das Tagesgeschäft in der Krise Datenmaterial beitragen, versuchen wir möglichst viele valide und aussagekräftige Zeitreihenindikatoren des sozialen Lebens zusammenzutragen, in ein gemeinsames Format zu bringen und so gebündelt allen Interessierten zur Verfügung zu stellen. Ein wichtiges Anliegen dieser Vorgehensweise und vielleicht ihr entscheidender Vorteil besteht darin, dass Zusammenhänge zwischen den diversen Entwicklungen leichter erkennbar werden. 

Denn in einer Ausnahmesituation wie der aktuellen ist immer damit zu rechnen, dass das soziale Gefüge auf bisher noch nie ergriffene Massnahmen nicht wie beabsichtigt reagiert: Wenn etwas in dieser Situation zweifellos gilt so ist es the law of unintended consequences. Die Kenntnis der Wirkungszusammenhänge wäre aber Voraussetzung für informierte gesamtgesellschaftliche Güterabwägungen, die im Fortschritt der Krise unvermeidlich zu treffen sein werden. Es gehört zum Wesen jeder Ausnahmesituation, dass ratlos im Nebel herumgestochert und und im Finstern vor sich hin gepfiffen wird. Nüchternheit ist Mangelware unter diesen Umständen - das Gesellschaftsmonitoring COVID19 soll ein Beitrag dazu sein.   

Ein auf diesem Material beruhende erste Einschätzung der Auswirkungen des Lockdowns auf das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung findet sich in meiner Publikation "Mobilität im Lockdown".