Vermögensentwicklung und -mobilität: interessant ist die Mitte
Mit der Entwicklung der Vermögen und Einkommen der Haushalte habe ich mich seit langem und wiederholt beschäftigt. Der Grund dafür ist natürlich einerseits das Interesse am Thema - aber andererseits auch, dass für den Kanton Zürich diesbezüglich hochinteressantes Datenmaterial vorhanden ist: Seit 1999 existieren Steuerdaten in einem Panelformat, mit dem sich die Entwicklung der Einkommensverhältnisse der einzelnen Zürcher Steuerhaushalte über die Zeit verfolgen lässt. Meine 2013 erschienene Studie zur Einkommensmobilität (Wie durchlässig ist die Gesellschaft?) hat dieses Datenmaterial erstmals befragt. Das Vermögen kam als erfasste Grösse erst etwas später dazu. Doch auch diesbezüglich haben sich in Jahren geduldigen Wartens mittlerweile Daten angehäuft, welche die Entwicklung der Vermögensverhältnisse von mehr als 500'000 Steuerhaushalten über einen Zeitraum von zehn Jahren lückenlos dokumentieren.
Sie bilden nun die Grundlage meiner neuen Studie zur Vermögensentwicklung und -mobilität. Sie zeigt nicht nur, wie sich die (steuerbaren) Vermögen im Lebenslauf entwickeln, welche Zusammenhänge es zwischen der Vermögensentwicklung und der Einkommenssituation gibt, sondern auch wie hoch die Vermögensmobilität im engeren Sinne, d.h. die Durchlässigkeit der Schichtung ist, und wie sie sich auf die Ungleichheit auswirkt.
Auch die diesbezüglichen Verhältnisse an der Spitze der Pyramide werden natürlich thematisiert. Doch halte ich das für weit weniger interessant, als der starr darauf fokussierte Mainstream der Ungleichheitsforschung. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Steuerdaten zeigen, dass das Wohlstandsniveau im Kanton Zürich, und wohl generell in der Schweiz sehr hoch ist: Das mediane Rentnerehepaar versteuert mehr als eine halbe Million Franken Nettovermögen, die Vermögensmillionäre haben im Rentenalter einen Anteil von gut einem Fünftel.
Nicht zuletzt ist eine wesentliche Erkenntnis meiner Beschäftigung mit dem Thema aber auch, dass das Vermögen keine einfache Grösse ist. Zwar haben wir hierzulande den unschätzbaren Vorteil, dass flächendeckende Angaben zu den Vermögensverhältnissen, dank deren universaler Besteuerung überhaupt vorhanden sind und dass sich die Logik Vermögensbesteuerung zumindest in jüngster Zeit kaum verändert hat. Dennoch "sehen" wir den Wohlstand natürlich gebrochen durch die Linse seiner fiskalischen Definition - und nur als Ganzes und nicht in seiner Zusammensetzung. In meiner Studie haben die Kausalitäten, die Mechanismen der Vermögensbildung deshalb eher Vermutungscharakter. Detaillierteres, vielleicht auch aus anderen Quellen ergänztes Datenmaterial würde zweifellos Aufschlüsse geben - doch es muss zuerst auch über einen längeren Zeitraum gesammelt werden.
Update: Die Resultate der Studie habe ich im Dezember 2019 am 1. Workshop of the Swiss Network on Public Economics (KOF ETH) präsentiert. Überdies sind in der NZZ vom 4.1.2020 zwei ausführliche Artikel erschienen, die einige wesentliche Erkenntnisse der Studie aufbereiten. "Vermögen in Zürich: Was besitzen Herr und Frau Zürcher?" und "Wie Erbschaften die Menschen reicher machen". Sehr ausgiebig wird das Papier auch in der sehr reichhaltigen Studie von Roland Hofmann und Michaela Tanner (ZHAW) "Wer (ver)erbt wie? Schweizer Erbschaftsstudie 2023" zitiert.
Einkommensmobilität: Ein altes Thema in neuer Beleuchtung
Die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Lebenslauf ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt. Denn die Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt vollzieht sich in modernen Gesellschaften zu einem erheblichenTeil monetär vermittelt. Geld hat den Faustkeil als wesentliches Werkzeug abgelöst, Es ist, wie Simmel meinte, das Werkzeug in seiner Reinform. Wie der Faustkeil Energie konzentriert für die Veränderung der Umwelt verfügbar macht, erlauben uns auch unsere finanziellen Ressourcen die Einwirkung auf letztere - z.B. indem wir die Kassierin im Coop damit dazu bringen können, uns ein Yoghurt zur freien Verfügung zu stellen, um damit unseren Metabolismus einige Minuten aufrechtzuerhalten. So wie wir uns vor Äonen zum selben Zweck mit dem Faustkeil ein Stück Fleisch aus der Mammutlende geschnitten haben. Unter diesem Aspekt sind die monetären Besitzrechte, so wie jedes Werkzeug, eine Verlängerung und Erweiterung unseres Körpers, eine Art virtueller Leib, dessen Potenz den Raum unserer zukünftigen Handlungsmöglichkeiten wesentlich determiniert.
Den prosaischen Abdruck dieser Leiber bildet die Steuerstatistik, denn der Staat will sich davon ja auch noch ein Stück - progressiv proportional zur Gesamtgrösse - abschneiden. Meine neue Studie zur Einkommensmobilität (statistik.info 8/2013) befasst sich mit der Entwicklung der Flussgrösse in diesem Kontext. Und dies, das ist im Vergleich zu meinen früheren Arbeiten neu, nicht mehr bloss auf Aggregats- sondern auf individueller bzw. Haushaltsebene. Der Blickwinkel ist dabei vor allem ein relativer, es interessiert, wie sich die Einkommen vergleichsweise entwickelt haben, und welche Schlüsse man daraus für die Qualität des sozialen Gefüges ziehen kann: Wie flüssig, wie durchlässig ist die Gesellschaft? (nicht sehr aber doch ziemlich). Sind die Topverdiener immer dieselben? (Nein, aber zum Teil eben doch). Was braucht, es um dauerhaft ein solcher zu bleiben? (ein gewisses Alter und erheblich Vermögen hilft):
Ein ausführlicher Blogbeitrag des Think-Tanks Avenir Suisse beleuchtet die wesentlichen Resultate der Studie aus liberaler Perspektive; Dessen Direktor, Gerhard Schwarz, bietet in der NZZ vom 30.11.2013 in der Rubrik "Wirtschaftspolitische Grafik" noch einen Nachschlag, der auch bei avenir suisse (2.12.2013) zu finden ist. Siehe dazu auch den Artikel in der NZZ vom 17.10.2013. Einige Resultate wurden an den Schweizer Statistiktagen im Oktober 2013 in Basel präsentiert (auf englisch).
Ausgiebig schöpfen auch zwei Berichte des Bundesrats zu relevanten Themen aus meiner Studie: der Bericht des Bundesrats zur Verteilung des Wohlstands in der Schweiz vom 27. 8. 2014 und derjenige zum Dauerthema "Erodiert die Mittelschicht?" vom 13.5.2015. Einlässlich referiert werden die Resultate auch in einer Studie des Büro Bass zuhanden der St. Galler SP, Grünen und Gewerkschaften und in jener der UBS zur "Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Schweiz" (2017). Die Publikation des Verteilungsmonitors von BAK Basel und WWZ (4.8.2015), bringt - zumindest für die NZZ: siehe den Artikel "Wohlstandsinsel Schweiz" vom 5.8.2015 - auch die Einkommensmobilität, und meine Studie dazu wieder aufs Radar.
Was uns Steuerdaten sagen - und was nicht
Steuerdaten wären für jene, die am nervus rerum menschlichen Verhaltens interessiert sind, eine Art von Nord-West Passage zu ganz neuen Ufern. Wären - denn leider sind sie vorderhand nicht in geeigneter Form vorhanden, d.h. auf Haushaltsniveau über die Jahre verknüpfbar (siehe die Schlussfolgerungen meiner Publikation zum Thema). Konkret bedeutet dies, dass über das interkantonale Migrationsverhalten des wirklich guten Steuersubstrats kaum etwas bekannt ist. Ein Interview zur Problematik im Tages-Anzeiger vom 17.7.2008.
Einkommen und Vermögen im Lebenszyklus
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Altersgruppen und Generationen - die Zürcher Steuerdaten zeigen, wie es sich damit verhält. Online als: "Einkommen und Vermögen im Lebenszyklus: Eine Analyse der Zürcher Staatssteuerstatistiken 1991-2003" (statistik.info 1/2006). Zitiert u.a. in der Bilanz (10/06), im Tages-Anzeiger (22.4.2006); aber auch in der im Juni 2006 erschienenen avenir suisse-Studie "l'or gris - comment, grâce aux seniors renforcer l'économie en général et l'AVS en particulier" von Marc Comina wurden die Aussagen dieser Studie, insbesondere zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Rentner und ihrer Entwicklung in den vergangenen 15 Jahren ausführlich diskutiert. Auch die aktuelle Studie des Bundesamts für Sozialversicherung zur Lage der Rentner, deren Entstehung ich in einer Expertengruppe begleitete, bezieht sich darauf. Sie erweitert zwar die Datenbasis, indem auch noch eine Reihe weiterer Kantone einbezogen wird, blendet aber Entwicklungsaspekte aus, die ich gerade bei dieser Fragestellung für besonders wichtig halte. Was den individuellen "financial life-cycle" angeht, bleibt hierzulande noch viel zu tun. Auch François Höpflinger bezieht sich in seinem Übersichtsartikel zur wirtschaftlichen Lage der Rentner von 2009 noch ausgiebig auf meine Publikation. Und sie ist nicht unterzukriegen: auch die Verfasser eines deutschen Forschungskonzepts zur Reichtumsberichterstattung von 2013 behaupten noch, dass im gesamten deutschsprachigen Raum lediglich Moser (2006) die Lage bezüglich der Persistenz individueller und kollektiver Vermögen im Nachbarland Schweiz thematisiere.
Die Vorgängerpublikation "Alter, Einkommen und Vermögen" (statistik.info 23/2002), die auf den Daten von 1999 beruhte, wurde von Markus Schneider in seinen Weltwoche-Artikeln vom 1.12.2004 und 5.1.2006; im Tages-Anzeiger (17.4.2004), im Lausanner Wochenmagazin L'Hebdo (6. 8. 2006) aber auch Steinmanns und Telsers Buch zu den Gesundheitskosten in der alternden Gesellschaft zitiert.