BILANZ 10/06 | Top-Storys
Erben
Familiensache
Geschlossene Gesellschaft: Neun von zehn vererbten
Franken bleiben im Familienkreis.
Jahr für Jahr werden laut Schätzungen bis zu 100 Milliarden Franken
vererbt. So viel Geld weckt Begehrlichkeiten. Umso wichtiger ist es, sich auf
den Erbgang vorzubereiten – zum Wohl von Portemonnaie und Nerven.
Text: Harald Fritschi
Sie sind die neue
Turnschuhgeneration, überall und unübersehbar: Senioren fallen über
Kreuzfahrtschiffe und Touristendestinationen her. Sie gehen im Himalaya auf
Treckingtour, statt brav auf der Bank vor dem Stöckli zu sitzen. Oder sie
schlagen sich durch den südamerikanischen Dschungel, statt den Lebensabend im
Altersheim zu verbringen. Eben sind sie daran, mit den Fitnesszentren eine der
letzten Bastionen zu erobern, die bislang den Jungen und Schönen vorbehalten
waren.
Die Alten sind fit wie
nie zuvor. Und vor allem: Sie haben so viel Geld wie noch nie. Das hat auch für
ihre Kinder Folgen, denn noch nie wurde so viel vererbt wie heute.
Der Reichtum der älteren
Generation hat nicht nur mit den guten Renten zu tun. Gemäss neueren Zahlen aus
dem Kanton Zürich betragen die Einkünfte aus Wertschriften, Guthaben und
Liegenschaften satte 35 Prozent ihres Einkommens. Zudem besitzen sie 53 Prozent
des riesigen Gesamtvermögens von 253 Milliarden Franken. Sie stellen aber nur
20 Prozent der Zürcher Bevölkerung.
Die Zürcher Zahlen können
getrost verallgemeinert werden. Und die angenehmen Auswirkungen für die Erben
sind mittlerweile ziemlich genau erforscht: Im Jahr 2000 wurden gemäss einer
Studie des Berner Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) 28,5
Milliarden Franken vererbt, davon ein Drittel in Form von Immobilien. Dies
entspricht 2,6 Prozent des gesamten helvetischen Vermögens und 6,8 Prozent des
Bruttoinlandprodukts (BIP), der im Inland erbrachten Wirtschaftsleistung. Hinzu
kommen schätzungsweise noch 9,5 Milliarden Franken an Schenkungen. Total also
38 Milliarden Franken.
Dabei haben die Autoren
der Bass-Studie – Teil des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 52 – ziemlich
vorsichtig geschätzt. Die Bank Leu kommt auf weit höhere Zahlen: Laut ihrer
Untersuchung werden in der Schweiz jährlich 100 Milliarden Franken an Vermögen
vererbt, die Hälfte davon in Form von Immobilien. Das
Bass stützt seine Forschung auf verschiedenste Daten ab, darunter auf die
gesamtschweizerische Vermögensstatistik, die Auswertung der Staatssteuerdaten
im Kanton Zürich sowie eine Univox-Umfrage. Dabei wurden 1400 Personen aus der
stimmberechtigten Bevölkerung direkt befragt.
Dass die Bass-Studie die
Erbschaften eher unterschätzt, hat mehrere Gründe. So werden nicht alle
Vermögensbestände voll berücksichtigt – der Hausrat (Schmuck, Gemälde,
Antiquitäten) oder rückkaufsfähige Lebensversicherungen werden zum Beispiel gar
nicht erfasst. Die Immobilien werden nur zu den kantonalen Steuerwerten
berechnet statt zu den deutlich höheren Verkehrswerten. Und ausserkantonale
Liegenschaften sind ebenfalls nur unvollständig berücksichtigt.
Dennoch liefert die
Bass-Studie im Rahmen des NFP «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im
gesellschaftlichen Wandel» neue Erkenntnisse zum Erben, dem – wie es in der
Studie heisst – «letzten Tabu der Generationenforschung». Demnach betrug die
durchschnittliche Erbschaftssumme 456 000 Franken. Im Schnitt erhielten die
Erben 178 700 Franken. Sie erben damit mehr, als sie selbst als Vermögen
ansparen.
Kein Wunder, ist die
Kunst des Erbens mittlerweile ein grosses Thema in der
Finanzdienstleistungsbranche – denn wer die wichtigsten Fallstricke umgeht und
die richtigen Tipps befolgt, hat deutlich mehr vom Erben.
Doch die Erbchancen sind
ungleich verteilt. Dies jedenfalls schreibt Autorin Heidi Stutz in ihrem
abschliessenden Bericht «Erben in der Schweiz», der Ende Mai im Rahmen des
Gesamtberichts veröffentlicht wird, der BILANZ aber schon vorliegt. Ein Drittel
der Bevölkerung erbt gar nichts, weitere 55 Prozent erhalten gerade mal zwei
Prozent des gesamten Erbschaftskuchens. Fünf Prozent hingegen profitieren
richtig – sie erhalten 60 Prozent der gesamten Summe.
Altersmässig sind die
Erbschaften erst recht ungleichmässig verteilt. Gemäss «Statistik.info» 1/2006
des Kantons Zürich, einer weiteren Publikation zum Thema, bilden «die 50- bis
64-Jährigen mit einem Anteil von mehr als einem Drittel im Jahr 2000
betragsmässig die grösste Empfängergruppe von Erbschaften». Oder anders gesagt:
Die Erben werden immer älter.
Erstaunliches brachte
auch die Univox-Umfrage zu Tage. 47 Prozent der Befragten haben schon geerbt
oder einen Erbvorbezug erhalten. Und ebenso viele erwarten eine Erbschaft. Die
überwiegende Zahl der Erbschaften bleibt im engsten Familienkreis. Gegen 60
Prozent gehen an die Kinder. Unter Einbezug der Ehepartner sind es gar etwa 75
Prozent. An andere Verwandte gehen nur 15 Prozent. Der Anteil gemeinnütziger
Organisationen beläuft sich auf 3,9 Prozent oder eine Milliarde Franken.
Das Geld bleibt in der
Familie, lautet die Devise der Reichen in der Schweiz. Und sie werden immer
reicher. Jahr um Jahr nimmt die Vermögenskonzentration zu, steigt die Zahl der
Millionäre um vier Prozent.
Mittlerweile ist in der
Schweiz ein neuer Geldadel entstanden, der seinen Reichtum zu wahren und zu
mehren weiss. Im Jahr 1995 wies die offizielle Vermögensstatistik des Bundes
einen Bestand von 750 Milliarden Franken aus. Neuere Daten, diejenigen von
2003, sind zwar erst Ende des laufenden Jahres erhältlich, doch unterdessen
dürfte dieser Betrag auf weit über 1000 Milliarden Franken gestiegen sein. Das
wäre dann mehr als die doppelte Schweizer Wirtschaftsleistung.
Wie viel reicher die
Begüterten in der Schweiz geworden sind, lässt sich an der Entwicklung der
Sparguthaben bei den Banken ermessen. Von 1990 bis 2005 sind sie von 116 auf
208 Milliarden Franken geradezu explodiert – um fast 80 Prozent. Zum Vergleich:
Das BIP ist im selben Zeitraum nur um 39 Prozent gestiegen.
Die Reichsten sind auf
dem Vormarsch. Mangels eidgenössischer Daten kann der diesbezüglich gut
erforschte Kanton Freiburg die Beweismittel liefern. Dort nämlich hat sich die
Vermögensschere sichtbar geöffnet. 1983 versteuerten 0,6 Prozent der
Steuerpflichtigen eine Million Franken und mehr. Sie lieferten 31 Prozent der
Vermögenssteuererträge ab. 2003 hatte Freiburg 1,7 Prozent Millionäre, die 52
Prozent Vermögenssteuer ablieferten.
Wie in der ganzen Schweiz
ist auch im Kanton Freiburg der Mittelstand auf der Verliererstrasse. Während
1983 noch fast 82 Prozent bis 100 000 Franken Vermögen auswiesen, waren es 2003
noch 76 Prozent. Ihr Vermögen ist offensichtlich kleiner geworden: Vor 22
Jahren lieferten sie noch 14 Prozent der Steuererträge ab, 2003 noch knapp 3
Prozent.
Die wachsende
Ungleichheit bei den Vermögen belegt auch eine Untersuchung der Berner
Beratungsfirma Ecoplan zur «Verteilung des Wohlstandes in der Schweiz» aus dem
Jahr 2004. Danach besitzt das reichste Zehntel der Bevölkerung 70 Prozent des
gesamten Vermögens. Mit anderen Worten: Rund 700 000 Schweizer verfügen –
konservativ nach der Bass-Methode gerechnet – über ein gigantisches Vermögen
von 770 Milliarden Franken. Das sind elf Millionen Franken pro Kopf.
Bei den Einkommen,
schreibt Ecoplan, sei die Ungleichverteilung nicht gar so schlimm: «Die
reichsten zehn Prozent der Erwerbshaushalte verfügen über ein 4,6-mal höheres
Einkommen als die ärmsten zehn Prozent.» In Zahlen ausgedrückt, verdienen die
einen deutlich unter 30000 und die anderen über 100 000 Franken pro Jahr. Festzuhalten
ist dabei, dass bei dieser Berechnung nur Einkommen bis 750 000 Franken
berücksichtigt wurden. Die Superreichen wurden aus der Statistik
herausgefiltert und fanden folglich gar keinen Eingang in die Studie.
In der Hierarchie der
Grossverdiener ganz zuoberst stehen die 50- bis 60-Jährigen, deren Kinder
ausgeflogen sind. «Die einkommensmässig reichen Haushalte sind vor allem in
dieser Alterskategorie zu suchen», heisst es in der Studie. Im Weiteren seien
die Einkommen unter den Rentnern ungleicher verteilt als bei der aktiven
Generation. Bei der regionalen Verteilung schwingen die Zürcher obenauf,
gefolgt von der Nordwestschweiz. «Die tiefsten verfügbaren Einkommen werden im
Tessin und in der Ostschweiz erzielt», heisst es in der Studie.
Durchschnittlicher Erbe
ist übrigens nicht der arme Vetter und auch nicht der junge Sohn oder die junge
Tochter – es sind ältere, betuchte, gut bezahlte Arbeitnehmer, die ihre Eltern
oder Grosseltern beerben. Aus der Untersuchung «Einkommen und Vermögen der
Generationen im Lebenszyklus» des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, die
sich auf neuere Daten stützt, geht hervor, dass «die steuerbaren Vermögen
zwischen dem 55. und dem 70. Altersjahr» entstehen. Zugleich belegt die
Untersuchung, dass die Pensionierten noch weiteres Vermögen anhäufen.
Ein erstaunliches
Ergebnis. Denn die neue Zürcher Vermögensstatistik widerlegt ganz klar die
verbreitete «Life-Cycle Hypothesis», wonach die während des Erwerbslebens
aufgebauten Ersparnisse im Rentenalter aufgebraucht werden. Die Einnahmen des
Schweizer Durchschnittsrentners, so schreibt Peter Moser, Autor der
Untersuchung, sind deutlich grösser als seine Ausgaben.
So viel Geld weckt
Begehrlichkeiten. Seit Jahren schon versucht die Sozialdemokratische Partei
(SPS) im Nationalrat eine nationale Erbschaftssteuer durchzuboxen. Vergeblich.
1996 scheiterte die Motion der Schaffhauser Nationalrätin Ursula Hafner ebenso
wie 1999 ein ähnlicher Vorstoss der Zürcherin Jacqueline Fehr mit 106 gegen 59
Stimmen. 2003 versuchte es der Aargauer EVP-Nationalrat Heiner Studer mit einer
parlamentarischen Initiative «zur Einführung einer eidgenössischen Erbschafts-
und Schenkungssteuer», die in der Herbstsession 2004 im Nationalrat ebenfalls
keine Gnade fand.
Doch die Linke liess nicht
locker. «Die Erbschaftssteuer ist die intelligenteste Steuer überhaupt», sagt
SP-Präsident Hans-Jürg Fehr. «Sie hat keine Nebenwirkungen, sie besteuert weder
den Konsum noch die Arbeit.» Die bürgerliche Parlamentsmehrheit mochte dieser
Argumentation nicht folgen und lehnte im Dezember 2005 auch die Motion der
SP-Fraktion mit 108 zu 58 Stimmen ab.
Jetzt will Hans-Jürg Fehr
aufs Ganze gehen: «Wird der nächste Vorstoss abgelehnt, starten wir eine
Volksinitiative.» Seine derzeit hängige Motion ist speziell brisant. Sie
bezweckt, die Langzeitpflege der Chronischkranken, die Alterspflege, durch eine
eidgenössische Erbschaftssteuer zu finanzieren. Der Steuersatz soll 25 Prozent
betragen, wobei bis 500 000 Franken steuerfrei wären. Nur zehn Prozent der
Erben müssten die Steuer zahlen. Rund 3,5 Milliarden Franken würden mit dieser
Steuer in die Staatskasse gespült, die Hälfte davon erhielten die Kantone.
«Die Erbschaftssteuer ist
eine Domäne der Kantone, der Bund soll sich da raushalten», sagt Kurt Stalder,
Sekretär der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz. Er räumt indessen ein, dass
dieses Argument unhaltbar werde, wenn die Erosion der Erbschaftssteuererträge
in den Kantonen weitergehe. Seit 1999 sind diese von über 1,5 Milliarden auf
900 Millionen Franken gesunken. Stalder hofft jetzt auf einen Stopp der
Erosion: «Die Finanzdirektoren wehren sich dagegen, dass die Erbschaftssteuer
weiter ausgehöhlt wird.»
Sie könnten auf
verlorenem Posten stehen. Der scharfe Steuerwettbewerb geht auf allen Ebenen
unvermindert weiter. Ein Kanton nach dem anderen hat die Erbschaftssteuer für
Ehegatten und Kinder abgeschafft, nachdem St. Gallen 1997 die Initiative
ergriffen hatte. Nur noch der Kanton Jura besteuert die Ehegatten, gerade
sieben Kantone besteuern die Kinder. Der Druck auf diese Kantone wird steigen.
«Es geht einfach nicht, dass der Staat dieselben Gelder mehrmals besteuert»,
sagt SVP-Präsident Ueli Maurer.
Neun Kantone haben
bereits die Erbschaftssteuer für die Eltern abgeschafft. Ob andere Kantone
mitziehen werden, ist umstritten. Selbst Maurer ist nicht davon überzeugt. Er
glaubt, dass die Besteuerung der Nachkommen in allen Kantonen verschwindet –
mehr nicht. «Dann werden wir uns voll darauf konzentrieren, die Gelüste der SP
auf neue Steuern zu bekämpfen.»
Diese Lust ist nach wie
vor ungestillt. Und die SP will sie unbedingt auf Kosten der reichen Erben
befriedigen.
Literatur
Heidi Stutz et. al.:
Erben in der Schweiz. Eine sozialökonomische Analyse unter besonderer
Berücksichtigung der Generationenbeziehungen. Bern 2006.
Peter Moser: Einkommen
und Vermögen der Generationen im Lebenszyklus. In: Statistik.info 1/2006.
Zürich 2006.
Ecoplan (Hg.): Verteilung
des Wohlstandes in der Schweiz. Bern 2004.
Eidgenössische
Steuerverwaltung: Gesamtschweizerische Vermögensstatistik der natürlichen
Personen. Bern 1997.