Glaubt man den Demoskopen, so war für ein Ja zur AHV13-Initiative keine soziodemographische Charakteristik wichtiger als das Alter – wichtiger noch als die Einkommenssituation oder die Bildung. Am höchsten war die Zustimmung gemäss der VOX-Analyse zum 3. März bei den 60-69-Jährigen mit 75%, am tiefsten bei den unter 40-Jährigen mit rund 47%. Dass jene, die relativ rasch und mutmasslich auch ziemlich lange von einer 13. AHV-Rente profitieren würden, sie auch befürworteten, überrascht nicht. Doch bedeutet ein hoher Befürworteranteil in einer gesellschaftlichen Gruppe noch nicht, dass sie den Entscheid auch stark zu ihren Gunsten beeinflusst: Denn das hängt auch von ihrem Ge­wicht an der Urne ab, bzw. dem was sie durch ihren Teilnahmeentscheid selbst dazu beiträgt – also ihrer Mobilisierung. Was kann man darüber sagen?

Zuverlässige Daten zur Beteilung gibt es – allerdings nur sehr punktuell

Zwar enthält auch die VOX-Analyse Angaben zur Beteiligung nach Alter: Aber einmal ab­gesehen davon, dass der turnout-bias, der in einer Überschätzung der Beteiligung resultiert ein bekanntes Problem von Repräsentativbefragungen ist,[1] wird sie nicht ins Verhältnis zur üblichen Beteiligung gesetzt, was erst die Identifikation von Mobi­li­sie­rungseffekten ermöglichen würde. Glücklicherweise gibt es zu diesem Thema aber eine alternative Quelle: Es handelt sich sogar um «harte» Daten, die nicht auf Befragungen sondern auf Auswertungen eingegangener Stimmrechtsausweise beruhen, die mit Bevölkerungsregisterdaten verknüpft werden können.

Sie sind allerdings nur sehr punktuell verfügbar. Meines Wissens publizieren nur die die Kantone St. Gallen, Genf und die Stadt Luzern regelmässig Daten von hinlänglicher Qualität zur Beteiligung nach Alter (und Geschlecht) an allen eidgenössischen Abstimmungsterminen:[2] In konsolidierter Form liegen sie diesem Beitrag zugrunde.

Die Partizipation wird stark durch das Alter geprägt

Wissen muss man vorab, dass zwischen dem Alter und der Stimmbeteiligung generell ein sehr starker Zusammenhang besteht, wie die Daten der 18 Bundesabstimmungstermine seit 2018 für die aus­ge­wählten Raumeinheiten deutlich machen:

grafik 1 beteiligung ge sg lu 2018ff

Die typischen Verläufe sind in allen diesen Gebieten letztlich analog: Mittelt man die altersspezifische Beteiligung an eidgenössischen Abstimmungsterminen seit 2018 (ohne den 3. März 2024), so nimmt sie mit dem Alter im Prinzip stetig zu. Am höchsten ist sie bei bei den 70-79-Jährigen und lässt dann bei den über 80-Jährigen etwas nach. Ältere Stimmberechtigte beteiligen sich also ausnahmslos eifriger als junge. Das muss berücksichtigt werden, will man heraus­finden, ob es bei der Mobilisierung im März alterspezifische Auffälligkeiten gab. Die Frage ist also: Gibt es zwischen der Beteiligung an diesem Termin (rot) und dem langjährigen Mittel (grün) altersspezifische Unterschiede?

Ältere Stimmberechtigte und unter ihnen besonders die Frauen wurden mobilisiert

Deshalb ist in der folgenden Grafik 2 nur diese Differenz dargestellt, was den Vorteil hat, das sie auch noch geschlechterspezifisch aufgedröselt werden kann, ohne die Grafik zu überladen:

grafik 2 beteiligung ge sg lu diff nach Geschlecht

Die Beteiligung am 3. März erreichte zwar keine Spitzenwerte, war aber deutlich über dem langjährigen Mittel. Entsprechend ist die Mobilisierung, bzw. Differenz zu dieser normalen Beteiligung in allen Alters­klassen positiv, was ja schon aus Grafik 1 deutlich hervorging.

Auch wenn sich die Muster im Detail unterscheiden: übers Ganze gesehen mobilisierte der Termin ältere Stimmberechtige sehr viel stärker als junge. In den meisten Gebietseinheiten wurden Stimmberechtigte über fünfzig deutlich stärker mobilisiert als jüngere. Das Maximum liegt meist bei den 60-69-Jährigen. Verglichen damit war sie bei den 70-79-Jährigen dann meist wieder etwas tiefer, um bei den über 80-Jährigen wieder anzusteigen. Letzteres hat auch damit zu tun, dass in dieser Altersklasse die Frauen überwiegen – die, auch das zeigt die Grafik, im Schnitt überall stärker mobilisiert wurden, wobei die Differenz im Kanton Genf relativ gering war. Der diesbezügliche Unterschied zwischen den Geschlechtern nimmt dabei mit dem Alter überall zu: Ausser in der Stadt Luzern ist die die Geschlechterdifferenz bei den über 80-Jährigen am grössten.

Fazit: Die Mobilisierung der Senioren trug wahrscheinlich zum AHV13-Ja bei

Die AHV13 genoss also bei vielen älteren Stimmberechtigten nicht nur eine hohe Zustimmung: Die verfügbaren harten Daten der Beteiligungsstatistik deuten zusätzlich darauf hin, dass sie auch über ihr bereits normalerweise hohes Teilnahmeniveau hinaus zusätzlich mobilisiert wurden. Besonders gilt dies für die Frauen, obschon deren Zustimmung in der VOX nicht sehr viel (und damit nicht signifikant) höher war als jene der Männer (60% gegenüber 56%). In der Kombination hat dies die Gesamtzustimmung wohl erhöht.

Diese Einschätzung beruht allerdings auf der impliziten Hypothese, dass die AHV13-Initiative am 3. März tatsächlich die beteiligungstreibende Leadvorlage war und so auch das altersspezifische Mobilisierungsmuster erklärt. Plausibel ist das durchaus, denn auch in der Evidenz der VOX war sie aus der Sicht der Stimmberechtigten die wichtigste eidgenössische Vorlage an diesem Termin. Da sich aber auf Stimmrechtausweisen beruhende Beteiligungsdaten immer auf den Termin und nicht auf eine einzelne Vorlage beziehen, kann das nicht mit Sicherheit gesagt werden. Im Kanton St. Gallen fanden beispielsweise gleichzeitig noch Kantons- und Regierungsratswahlen statt. Doch war die Beteiligung daran massiv tiefer (rund 40%, bzw. 45%, gegenüber ungefähr 56%) als bei den beiden eid­ge­nössischen Vorlagen, von denen die AHV13 die höhere effektive Beteiligung aufwies als die Renteninitative, was die Vermutung stützt, dass sie die Leadvorlage war.

Hinzu kommt, dass leider derartige Daten, so interessant sie wären, leider nach wie vor nur sehr spärlich verfügbar sind, was auch daran liegt, dass ihre Produktion im dezentralen schweizerischen System der Resultatermittlung auf Gemeindeebene recht aufwendig ist. Es ist, als ob man mit einer Taschenlampe im finstern Wald herumtappen würde, um da und dort einen Eindruck von den Bäumen zu erhaschen. Interessant wären sie jedenfalls, wie ich in dieser explorativen Kurzanalyse, die das Material noch keineswegs ausschöpft, zu zeigen versuche. Umso mehr gilt dies für die aufschlussreichen Auswertungen der - nichtöffentlichen – Paneleinzeldaten aus dieser Quelle (Dermont 2016; Sciarini 2016; Serdült 2013). Für solide Aussagen zum Partizipationsverhalten des Schweizer Stimmvolks wäre eine Erweiterung des Angebots sehr zu wünschen!

Literatur

Dermont, C., 2016. Taking Turns at the Ballot Box: Selective Participation as a New Perspective on Low Turnout. Swiss Polit Sci Rev 22:, 213–231.

Sciarini, S. Pascal; Cappelletti F; Goldberg A.C; Lanz, 2016. The Underexplored Species: Selective Participation in Direct Democratic Votes. Swiss Polit Sci Rev 22, 75–94.

Serdült, U., 2013. Partizipation als Norm und Artefakt in der schweizerischen Abstimmungsdemokratie: Entmystifizierung der durchschnittlichen Stimmbeteiligung anhand von Stimmregisterdaten aus der Stadt St. Gallen. Festschrift für Andreas Auer zum 65. Geburtstag. Stämpfli.

Anmerkungen

[1] Ein wesentlicher Grund dafür sind Selektionseffekte: Politisch Interessierte, die sich auch stark beteiligen, nehmen lieber an Befragungen zu politischen Themen teil. Eine Rolle spielt aber auch sogenanntes «overreporting», d.h. nicht den Tatsachen entsprechende Angaben, z.B. weil die Beteiligung von den Befragten als sozial erwünschtes Verhalten wahrgenommen wird (Mehr dazu in einer Präsentation von Simon Hugi und Ben Jann). In den publizierten Auswertungen wird das in der Regel durch eine Gewichtung korrigiert, welche die Beteiligung auf das tatsächliche Niveau reduziert. Sie beruht aber ihrerseits auf Hypothesen, die nicht direkt überprüft werden können.

[2] Ein auch hinsichtlich der Aufbereitung (das ganze Material befindet sich in einem file!) vorbildliches öffentlich zugängliches Angebot bietet die STISTAT der Fachstelle für Statistik des Kantons St. Gallen. Sie stellt für alle Urnengänge des Kantonshauptortes seit 2010 und für ausgewählte Landgemeinden seit 2018 die Zahl der Stimmberechtigten nach Beteiligung, Einjahresklassen und Geschlecht zur Verfügung, soweit das datenschutzrechtlich opportun ist. In kleineren Gemeinden fehlen die Angaben von Kreuzungszellen mit wenigen Fällen (Alter x Geschlecht) deshalb. Aus diesem Grund werden hier nur die Gemeinden mit diesbezüglich vollständigen Daten, d.h. St. Gallen und Gossau verwendet. Für den Kanton Genf gibt es derartiges Material ebenfalls, wenn auch nur in 5-Jahresaltersklassen. Es muss zudem aus zahlreichen nicht immer exakt gleich strukturierten Excel-Tabellen zusammengekratzt werden… Sozusagen zum Trost sind dafür auch weitere beteiligungsrelevante Merkmale, wie etwa die Wohnsitzdauer im Kanton oder der Zivilstand tabelliert. Diese beiden Quellen haben aus methodischer Sicht den Vorteil, dass sie nicht nur Beteiligungsprozente, sondern Absolut­zahlen ausweisen, und so auch eigene Aggregationen ermöglichen. So kann etwa der Anteil einer bestimmten Altersgruppe an allen Abstimmungsteilnehmern berechnet werden. Dass dies bei den bis 2006 zurückreichenden Daten der Stadt Luzern (Zehnjahresaltersklassen nach Geschlecht, verfügbar bei lustat), nicht zutrifft, ist etwas schade.