Das Ja zur 13 AHV-Rente - Ein Schlüsselentscheid und seine Ursachen
Das stimmbürgerliche Donnerwort vom 3. März 2024 wird noch lange nachhallen – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Scheck, den man sich hier grosszügig selbst ausgestellt hat, ja noch nicht gedeckt ist. Aber auch die Ursachen des Entscheids müssen noch gründlich untersucht werden. Wie wichtig waren die soziodemografischen Umstände und die politischen Haltungen für den Entscheid? Welche Rolle spielten die Argumente? Die Befragungen im Vorfeld und Nachgang gaben bereits einen ersten Eindruck davon und die gründliche VOX-Analyse des Urnengangs wird das Bild dann in einigen Wochen noch abrunden. Auch in diesem Fall wird freilich die «Wahrheit», wie in den (Sozial-)Wissenschaften doch zumeist, nicht einer einzigen Quelle kristallklar entsprudeln, sondern jenes Residuum stilisierter Fakten sein, die dem Selektionsprozess, einem argumentativen «survival of the fittest» standzuhalten vermögen.
Befragungen sind wichtige Interpretationshilfen – aber auch die Resultatdaten sind aufschlussreich
Die Erkenntnisse der Demoskopie werden zweifelsohne zental sein. Doch auch die Resultatdaten der Abstimmung sind ein Mosaikstein, der zu einem vollständigen Bild beitragen kann. Es handelt sich zwar «nur» um Aggregatdaten keine Individualdaten wie in den Befragungen: Die Stimmzettel sind anonymisiert, und entsprechend können auch nur Stimmentotale, bzw. Zustimmungsanteile auf Gemeindeebene ausgewertet werden. Aber die Resultate werden schweizweit in tausenden von Abstimmungslokalen genauestens erfasst. In einem gewissen Sinne sind diese Daten the truth & nothing but the truth: Sie sind die Entscheidung selbst, nicht eine Reaktion auf einen Fragenstimulus.[1]
Genau darin liegt aber auch ihre Beschränkung: Die Abstimmungsresultate dokumentieren den Volksentscheid – ihr Zweck ist nicht die Förderung sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns über dessen Ursachen. Sie sind zwar räumlich hochaufgelöst. Doch spiegelt dies die administrativen Strukturen, die leider dort besonders kleinräumig sind, wo ohnehin wenige Menschen leben. Wegen des Stimmgeheimnisses wird im Zählprozess sorgfältig verwischt, wer wie abstimmte. Personenmerkmale können deshalb nicht mit dem Entscheid verknüpft werden, sondern nur ebenso aggregierte, die sich auf jene Kollektive beziehen, für welche die Resultate ermittelt wurden: Im besten Falle sind dies die Gemeinden.[2]
Nun aber zur Analyse des konkreten AHV13-Entscheids. In diesem ersten Beitrag geht es um die Frage, wovon die Zustimmung abhing, in einem zweiten um die Erklärung der Zustimmungsentwicklung seit 2016 als über eine sehr ähnliche Initiative, die AHVplus abgestimmt wurde.
Deutschschweiz und Romandie - zwei verschiedene Welten
Bei der Modellierung der Zustimmung muss ein zentrales Faktum berücksichtigt werden. Zwar gab es keinen Röstigraben im engeren Sinne - die AHV13 war in allen drei grossen Sprachregionen mehrheitsfähig. Aber der Zustimmungsunterschied zwischen der Romandie und der Deutschschweiz[3] (inklusive dem romanischsprachigen Gebiet in GR), auf die wir uns hier konzentrieren, war mit 23%-Punkten massiv:
Die schweizerische Parteienlandschaft im vergangenen halben Jahrhundert: ein Überblick
Für einen vorweihnächtlichen, eine gute Stunde dauernden Gastvortrag an der Pädagogischen Hochschule Zürich (Im Modul Staatsrecht von Silvano Sarno - besten Dank für die Einladung!) habe ich versucht, wesentliche Elemente der Entwicklung der schweizerischen Parteienlandschaft herauszuschälen. Der Fokus lag dabei auf den langfristigen tektonischen Entwicklungen des letzten halben Jahrhunderts seit der Einführung des Frauenstimmrechts und nicht auf den Aktualität der letzten Wahl und ihren Resultaten.
So interessant die historischen Details auch sind - die Herausforderung bestand darin, die Fülle des Materials zu bändigen. In diesem ersten Versuch eines tour d'horizon habe ich mich deshalb einerseits auf die heute noch relevanten Parteien beschränkt und andererseits räumlich grosszügig aggregiert: Ich schaue mir die Entwicklungen dies- und jenseits des Röstigrabens, in Stadt, Agglo und Land sowie den Konfessionsgebieten an - drei Dimensionen die mir wesentlich fürs Verständnis der Entwicklungen und auch wichtiger Grundkonstanten der schweizerischen Parteienlandschaft zu sein scheinen. Die Präsentation - kann durch mouseover angeworfen werden! - gibt einen Eindruck. Es versteht sich von selbst, dass das Thema damit noch nicht erschöpft ist! Wie gesagt handelt es sich dabei um einen ersten Wurf, den ich selbstverständlich auch gerne persönlich zur Debatte stelle - melden kann man sich hier.
Zur Berechnung der eidgenössischen Parteistärken: ein Nachschlag
Die nationalen Parteistärken waren ja das heisse Thema der ersten Stunden und Tage der heurigen Ausgabe der Nationalratswahlen: Am Sonntagabend, weil sich deren Rangfolge gemäss den publizierten Zahlen nachgerade historisch zu verschieben schien, am Mittwoch, weil das Bundesamt für Statistik einen Berechnungsfehler eingestehen musste, der die Narrative (Rechtsruck, Mitte überholt erstmals FDP) zur Makulatur machte. Die Reaktionen darauf waren heftig und reichten von Mitleid mit den Verantwortlichen über ungläubiges Staunen bis zu blankem Hohn. Hier geht es nun nicht darum, diesem «Debakel» und seinen Ursachen auf den Grund zu gehen (siehe dazu z.B. den NZZ-Artikel von Simon Huwiler). Vielmehr sollen einige grundsätzliche Überlegungen zu diesen Kennwerten angestellt werden.
Die Zürcher Regierungsratswahlen 2023: Was kann man daraus lernen?
Das Resultat der Regierungsratswahlen entsprach einerseits dem courant normal: Wie fast immer wurden alle Bisherigen wiedergewählt. Speziell war allerdings andererseits, dass das auch bedeutete, dass die neue Regierung die alte war (das traf nämlich 1955 letztmals zu) und dass der parteilose Mario Fehr nicht nur wiedergewählt wurde, sondern sogar das klare Spitzenresultat erzielte.
Denn das ist, zumindest in der jüngeren Geschichte, ziemlich einmalig: Zwar wurde auch der legendäre Alfred Gilgen 1991 wiedergewählt, nachdem ihn der Landesring nach zwanzig turbulenten und kontroversen Jahren in der Zürcher Regierung nicht mehr zu Wahl vorschlug. Doch gelang ihm dies nur mit einer Haaresbreite Vorsprung vor seinem nächsten Konkurrenten - einem gewissen Ueli Maurer, der es fast zwanzig Jahre später sogar noch an die Spitze des greasy pole der Schweizer Politik, nach Bern in den Bundesrat schaffte.
Gleich und Gleich gesellt sich immer lieber - Entmischungstendenzen in der Zürcher Parteienlandschaft
Sechzig Jahre, bis ins Jahr der letzten Zürcher Seegfrörni muss man zurückblicken, bevor man auf eine Kantonsratswahl stösst, welche die Parteienzusammensetzung noch weniger veränderte als die heurige. Unter der erstarrten Oberfläche des gesamtkantonalen Resultats gibt es aber durchaus interessante langfristige Entwicklungstendenzen wie meine Analyse der Gemeinderesultate (Zürcher Parteiensystem in Bewegung) zeigt.
Die Parteiwählerschaften entmischen sich räumlich nämlich zusehends, was umgekehrt impliziert dass die Gemeinden politisch tendenziell homogener werden: Eine Tendenz, die zumal die beiden Zentren, Zürich und Winterthur von ihrem Umland absetzt. Besonders die beiden grossen Linksparteien werden immer urbaner - mittlerweile wohnen gut die Hälfte ihrer Wählerschaften in der Stadt Zürich, analoge, wenn auch weniger ausgeprägte Tendenzen gibt es auch bei der GLP und der FDP - während bei der SVP der Anteil der städtischen Wähler stetig abnimmt.
Duncans Dissimilarity Index (siehe Grafik) fasst die Segregationstendenz von Parteienpaaren in eine Masszahl - die zudem auch noch eine sehr anschauliche Interpretation hat: Er zeigt nämlich, welcher Anteil der Wählerschaft der Partei A umziehen müsste, um gleich verteilt zu sein wie jene von B. So hätte 2007 erst ein Fünftel (22%) der SP-Wählerschaft dislozieren müssen, um gleich verteilt zu sein wie jene der SVP – 2023 ist es bereits ein Drittel (33%, vgl. den Verlauf des Index der SVP in der Spalte SP). Das gleiche gilt selbstverständlich auch in umgekehrter Richtung.
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