Majorzwahlentscheidung ans Licht gebracht
Welche Kandidaturen in einer Regierungsratswahl wieviele Stimmen erhalten haben, ist selbstverständlich bekannt. Doch welche individuellen Wahlentscheidungen dieses aggregierte Resultat erzeugen, habe ich für die Zürcher Gesamterneuerungswahlen vom Frühjahr 2019 erstmals mit unzweifelhaft zuverlässigem, weil aus dem offiziellen Resultatermittlungssystem stammendem Datenmaterial untersucht. Über die konkreten, sozusagen politisch unmittelbar verwertbaren Resultate meiner Analyse wurde von der NZZ und von watson ausführlich berichtet.
Doch eine der Haupterkenntnisse der Analyse besteht darin, dass die politisch breite Zusammensetzung der Regierung nicht einfach ein Aggregationsphänomen ist, sondern von vielen Wählern bereits vorweggenommen wird: Rund 39% von ihnen entscheiden sich für Kandidaturen aus allen drei grossen politischen Lagern (links, Mitte, rechts) – und weil sie den Wahlzettel fast vollständig ausfüllen, kommt sogar mehr als die Hälfte der Stimmen von dieser Wählergruppe. Umgekehrt ist block-voting von geringer Bedeutung: nur 11% wählen Kandidaturen ausschliesslich einer Partei und nur 26% beschränken sich auf Kandidaturen aus einem der Lager - mutmasslich, auch wenn sich das mit den Daten wegen des Stimmgeheimnisses nicht direkt zeigen lässt, jeweils der bzw. des eigenen.
Vermögensentwicklung und -mobilität: interessant ist die Mitte
Mit der Entwicklung der Vermögen und Einkommen der Haushalte habe ich mich seit langem und wiederholt beschäftigt. Der Grund dafür ist natürlich einerseits das Interesse am Thema - aber andererseits auch, dass für den Kanton Zürich diesbezüglich hochinteressantes Datenmaterial vorhanden ist: Seit 1999 existieren Steuerdaten in einem Panelformat, mit dem sich die Entwicklung der Einkommensverhältnisse der einzelnen Zürcher Steuerhaushalte über die Zeit verfolgen lässt. Meine 2013 erschienene Studie zur Einkommensmobilität (Wie durchlässig ist die Gesellschaft?) hat dieses Datenmaterial erstmals befragt. Das Vermögen kam als erfasste Grösse erst etwas später dazu. Doch auch diesbezüglich haben sich in Jahren geduldigen Wartens mittlerweile Daten angehäuft, welche die Entwicklung der Vermögensverhältnisse von mehr als 500'000 Steuerhaushalten über einen Zeitraum von zehn Jahren lückenlos dokumentieren.
Sie bilden nun die Grundlage meiner neuen Studie zur Vermögensentwicklung und -mobilität. Sie zeigt nicht nur, wie sich die (steuerbaren) Vermögen im Lebenslauf entwickeln, welche Zusammenhänge es zwischen der Vermögensentwicklung und der Einkommenssituation gibt, sondern auch wie hoch die Vermögensmobilität im engeren Sinne, d.h. die Durchlässigkeit der Schichtung ist, und wie sie sich auf die Ungleichheit auswirkt.
Auch die diesbezüglichen Verhältnisse an der Spitze der Pyramide werden natürlich thematisiert. Doch halte ich das für weit weniger interessant, als der starr darauf fokussierte Mainstream der Ungleichheitsforschung. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Steuerdaten zeigen, dass das Wohlstandsniveau im Kanton Zürich, und wohl generell in der Schweiz sehr hoch ist: Das mediane Rentnerehepaar versteuert mehr als eine halbe Million Franken Nettovermögen, die Vermögensmillionäre haben im Rentenalter einen Anteil von gut einem Fünftel.
Nicht zuletzt ist eine wesentliche Erkenntnis meiner Beschäftigung mit dem Thema aber auch, dass das Vermögen keine einfache Grösse ist. Zwar haben wir hierzulande den unschätzbaren Vorteil, dass flächendeckende Angaben zu den Vermögensverhältnissen, dank deren universaler Besteuerung überhaupt vorhanden sind und dass sich die Logik Vermögensbesteuerung zumindest in jüngster Zeit kaum verändert hat. Dennoch "sehen" wir den Wohlstand natürlich gebrochen durch die Linse seiner fiskalischen Definition - und nur als Ganzes und nicht in seiner Zusammensetzung. In meiner Studie haben die Kausalitäten, die Mechanismen der Vermögensbildung deshalb eher Vermutungscharakter. Detaillierteres, vielleicht auch aus anderen Quellen ergänztes Datenmaterial würde zweifellos Aufschlüsse geben - doch es muss zuerst auch über einen längeren Zeitraum gesammelt werden.
Update: Die Resultate der Studie habe ich im Dezember 2019 am 1. Workshop of the Swiss Network on Public Economics (KOF ETH) präsentiert. Überdies sind in der NZZ vom 4.1.2020 zwei ausführliche Artikel erschienen, die einige wesentliche Erkenntnisse der Studie aufbereiten. "Vermögen in Zürich: Was besitzen Herr und Frau Zürcher?" und "Wie Erbschaften die Menschen reicher machen". Sehr ausgiebig wird das Papier auch in der sehr reichhaltigen Studie von Roland Hofmann und Michaela Tanner (ZHAW) "Wer (ver)erbt wie? Schweizer Erbschaftsstudie 2023" zitiert.
Wird der Pukelsheim besser wenn man ihn panscht?
Leser meines Textes (besten Dank an Claudio Kuster @cloudista und Olivier Dolder @odolder) haben mich auf eine Modifikation des Pukelsheim, den „majorzbedingten Biproporz“ hingewiesen. Als zusätzliche Nebenbedingung des biproportionalen Zuteilungssystems soll dabei jeweils die stimmenstärkste Partei in einem Wahlkreis einen Sitz auf sicher haben. Das verhindert gegenläufige Sitzzuteilungen, dort wo sie besonders auffällig und stossend wären: In Einer- und Zweierwahlkreisen (Wie steht‘s in wenig grösseren?). Das Augsburger Laboratorium für Wahlsystemsgenetik hat auch dieses System geprüft und für tauglich befunden: Simulationen sollen gezeigt haben, dass es dadurch nicht zu nennenswerten Verzerrungen anderswo im System kommt, wie man vermuten könnte. Intuitiv mag das zutreffen, wenn der Anteil der Einerwahlkreise klein ist, wie in der Schweiz, und gegenläufige Sitzverteilungen ohnehin eher die Ausnahme.
Was ist davon zu halten? Im Prinzip kann jedes Wahlsystem so frisiert werden, dass es mit irgendeinem liebgewordenen Aspekt des Status Quo wieder kompatibel ist. Der majorzbedingte Biproporz würde die Fortdauer von Einerwahlkreisen ermöglichen, aber Resultatskonstellationen verhindern, die offensichtlich auch den Befürwortern des Pukelsheim auf Bundesebene nicht so ganz geheuer sind.
Ein Parlament im Wandel - oder auch nicht
Anlässlich der Jubelfeier zum 100-jährigen Bestehen des Proporzwahlsystems für den Zürcher Kantonsrat, habe ich einige langfristige Aspekte der Ratsdemographie aufgearbeitet. Einerseits etwas ausführlicher in Form einer Präsentation am Anlass selbst, andererseits in einem kurzen Beitrag für die online Plattform deFacto, die Erkenntnisse der schweizerischen Politologenzunft für ein breites Publikum aufbereitet.
Bodenpreise als Spiegel unserer Präferenzen: Ein Modell
Der "Preis des Bodens: ein hedonisches Modell der Wohnbaulandpreise im Kanton Zürich" ist zwar nicht mein erster aber ganz bestimmt mein gründlichster Versuch, die Landpreisbildung im Kanton Zürich zu erklären. Das Thema ist faszinierend: denn letztlich spiegeln die Landpreise die aggregierten Wohnlagepräferenzen der Nachfrager - d.h. von uns allen. Die Komplexität und Multidimensionalität der Präferenzstruktur für die zumeist ziemlich wichtige Entscheidung über die Wahl der Lage des eigenen Nachtlagers im Raum macht auch die Modellierung der Landpreise zu einem äusserst vielseitigen Abenteuer: Daten aus den unterschiedlichsten Quellen müssen aufbereitet - unterschiedliche Spezifikationen getestet - eine Synthese in Form einer einfachen Gleichung gefunden werden, die unter dem Strich wenn nicht wahr, so doch zumindest nützlich ist.
Das ist auch technisch anspruchsvoll, denn es gilt alle Register zu ziehen; vom 32´ Register der Topografie über die Tromba der Fahrzeit nach Zürich bis zu Schalmei des Steuerfusses... Glücklicherweise gibt es heute eine Orgel, auf der sie alle verfügbar sind: R. Eine Präsentation an den Schweizer Statistiktagen 2017 in der Karthause Ittingen "One tool to rule them all - R als statistisches Sackmesser" gibt einen Überblick über technologische Aspekte der Modellproduktion.
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