Wahlentscheidung auf dem Seziertisch
Streichen - Panaschieren - Kumulieren: Das Instrumentarium des Wählers im Proporzwahlsystem das bei den Nationalratswahlen zur Anwendung kommt, ist an sich simpel. Wenn im grössten Wahlkreis der Schweiz aber 35 Stimmen zu vergeben sind und auf ebensovielen Listen 873 Kandidaturen zur Auswahl stehen, erzeugen sie ein choice set von Handlungsoptionen, das gelinde gesagt, unübersichtlich ist. Es gibt etwa 5.8*1064 Möglichkeiten einen Zürcher Wahlzettel gültig auszufüllen. Realisiert davon wurden von den 428'000 Wählern immerhin rund 170'000, darunter rund 155'000 einzigartige Konfigurationen. Meine Analyse der Zürcher Wahlzetteldaten zeigt, wie die Wähler ihre Möglichkeiten nutzen um ihre politischen und personellen Präferenzen auszudrücken. Zwar sind die Erkenntnisse grösstenteils nicht völlig neu und überraschend - das Aggregat der Panaschierstatistik stand ja seit jeher zur Verfügung (Analysen hier oder hier). Aber das eine oder andere weiss man jetzt einfach genauer - und eine geschlossene Wissenslücke, so klein sie auch sein mag, ist ja nie zu verachten.
Offene Rechnungen vom letzten Oktober lassen sich damit, wie der Blick (27.5.2016) beweist, allemal begleichen: er titelte "Schlappe für Köppel - Die wahre Wahlsiegerin heisst Natalie Rickli!". Ins gleiche Horn stossen am Folgetag auch die NZZ mit "Rickli schlägt Köppel" und der Tages-Anzeiger - merkwürdigerweise unter Berufung auf die Konkurrenz von der Falkenstrasse - "Köppel unterlag Rickli". Man kann sich des Verdachts nicht restlos erwehren, dass es Spass machte, dem politisch so erfolgreichen Kollegen von der Weltwoche eins auszuwischen...
Aber immerhin sollte damit das Bewusstsein dafür geschärft sein, dass "Stimmen" nicht "Wählern" entsprechen, womit ein didaktischer Zweck der Untersuchung auch erfüllt wäre.
Wie Zürich im April – so die ganze Schweiz im Oktober
In wenigen Tagen wählen die Zürcherinnen und Zürcher ihr Parlament für die kommenden vier Jahre. Die Resultate dieses Urnengangs werden aber auch in der ganzen übrigen Schweiz mit grosser Spannung erwartet. Dies nicht allein, weil die Machtverhältnisse im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz an sich interessieren. Sondern auch weil ein Gemeinplatz besagt, dass die Entwicklung der Zürcher Kräfteverhältnisse bereits im April erahnen lässt, welche Parteien in den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen gewinnen oder verlieren werden.
Doch was taugt der Kanton Zürich als Barometer der eidgenössischen Grosswetterlage? Eine systematische Evaluation der Zürcher „Prognosen“ der letzten dreissig Jahre zeigt, wie es sich damit verhält.
Noch eine letzte Prognose – und sie stimmt wahrscheinlich
Update (20.10.2015)
Die im folgenden Artikel (erschienen im Tages-Anzeiger Politblog vom 14.10. 2015) gewagte Prognose wurde sogar noch untertroffen. Berechnet man den Pedersen-Index der Volatilität aufgrund der Veränderung der Wähleranteile im Nationalrat gegenüber der letzten Nationalratswahl vor vier Jahren, so kommt man auf einen Wert von nur 4,2. Im schweizerischen Vergleich der vergangenen 20 Jahren ist das sehr wenig - und erst recht im europäischen Kontext:
Die Wähler/Parteienzahl der Parteien/Wähler: Eines alten Rätsels Lösung
Wählerzahlen- und Anteile der Parteien sind in aller Munde, jetzt im Vorfeld der Wahlen, erst recht werden sie es aber aber am 18. Oktober sein. Eines kann man jetzt schon sagen – die einen werden Wähleranteile gewinnen, die anderen werden sie verlieren. Die Sache hat allerdings einen Haken, denn genau genommen handelt es sich bei diesen „Wählerzahlen“ und „-anteilen“ um Stimmenzahlen und -anteile, die aus Handlichkeitsgründen durch die Zahl der verfügbaren Stimmen im Wahlkreis dividiert werden. Claude Longchamp hat darauf mehrfach hingewiesen. Wie viele Wähler die Parteien wirklich haben, und wie viele unterschiedliche Parteien das runde Drittel der fremdpanaschierenden Wähler auf ihre Zettel schreiben, war aber bislang - zumindest auf der Grundlage der offiziellen Wahlstatistik - nicht bekannt. Die herkömmliche Panaschierstatistik zeigt das nämlich nicht, oder nur im Ansatz. Für den Kanton Zürich, der mit seinen (vor vier Jahren) 34 Sitzen ein ideales Demonstrationsobjekt darstellt, habe ich Wahlzetteldaten, die genau darüber Aufschluss geben, nun erstmals analysiert. Es versteht sich von selbst, dass die Erkenntnisse nicht ohne weiteres verallgemeinerbar sind. Insbesondere die Zahl der Sitze ist in den Kantonen zu unterschiedlich, die Parteiensysteme (vor allem deswegen) auch. Aber immerhin: ein Anfang ist jetzt gemacht, und die Analyse für die kommende Wahl wird noch viel mehr in die Tiefe gehen.
Panaschierstatistik - einmal anders
Wenn man ganz ehrlich sein will: die Panaschierstatistik, so heiss sie jeweils nach den Kantonsratswahlen erwartet wird - birgt für den langjährigen Beobachter meist keine Überraschungen. Die Panaschierkönige sind meist etwa dieselben, und die Präferenzen der Parteiwähler für die Konkurrenz sind im Grunde genommen erstaunlich stabil. Deshalb habe ich in der diesjährigen Aktualisierung (statistik.info 04/2015) zumindest eine grafische Neuerung versucht: Die Darstellung der Panaschiermatrix in einem "Chord-Diagramm", wie sie aktuell, dank einfacher Herstellungsmöglichkeiten z.B. in R, populär sind.
Ganz nett anzuschauen ist das, perfekt als teaser für den Twitter - und es gibt bestimmt einen ersten Überblick. Ob es freilich der traditionellen Darstellung wirklich klar überlegen ist, scheint mir hingegen eher fraglich ...
- Wahlsystem mit Nebenwirkungen: Warum vom „doppelten Pukelsheim“ auf Bundesebene abzuraten ist
- Taugen Initiativen zur Mobilisierung der eigenen Basis? Die beiden wohl nicht.
- Zum Parteienmix in der Zürcher Regierung
- Ecopop-Absturz war (auch) mobilisierungsbedingt
- preisgünstiges Wohnen im Widerstreit von Ideologie und Eigeninteresse
Seite 4 von 19