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Wahlsystem mit Nebenwirkungen: Warum vom „doppelten Pukelsheim“ auf Bundesebene abzuraten ist
Es ist wieder einmal August im grossen Wahljahr, höchste Zeit mithin für den Listenverbindungsschacher und das politmediale Lamento darüber: Angesicht der krassen Verstösse der Parteien gegen Anstand und Sitte in diesen wüsten Bacchanalien gehören die Listenverbindungen abgeschafft; die Schweiz braucht endlich ein sauberes, gerechtes Wahlsystem – und ist diese Spur einmal gelegt, wird er unvermeidlich aus dem Zylinder gezogen: Auftritt der „Pukelsheim“, das doppeltproportionale Zuteilungssystem, das im Kanton Zürich vor etwa zehn Jahren eingeführt wurde und das nun auch in einigen anderen Kantonen angewendet wird. Die Parlamentssitze werden dabei zuerst in einer Oberverteilung über alle Wahlkreise hinweg auf die Parteien verteilt, danach erst erfolgt die Zuteilung der Sitze in den Wahlkreisen.
Was wäre der Vorteil? Eine gesamtschweizerisch gerechtere, die Stimmenproportionalität genauer abbildende Verteilung dank dem Divisorverfahren mit Standard- anstatt Abrundung wie beim aktuellen Hagenbach-Bischoff-Algorithmus. Im selben Aufwasch würde damit auch die Motivation für die Listenverbindungen hinfällig, denn grosse Gruppierungen hätten keinen überproportionalen Vorteil bei der Sitzverteilung mehr. Der Pukelsheim gilt deshalb seit geraumer Zeit als wahre Wunderwaffe. Doch ist kein Wahlsystem perfekt: Keines erfüllt alle Ansprüche die man aus politaxiomatischer Sicht an ein Sitzzuteilungssystem stellen kann, d.h. eine Rechenvorschrift, welche eine praktisch beliebig teilbaren Zahl von Parteistimmen auf eine endliche ganzzahlige Menge von Parlamentariern abbildet.
Panaschierstatistik - einmal anders
Wenn man ganz ehrlich sein will: die Panaschierstatistik, so heiss sie jeweils nach den Kantonsratswahlen erwartet wird - birgt für den langjährigen Beobachter meist keine Überraschungen. Die Panaschierkönige sind meist etwa dieselben, und die Präferenzen der Parteiwähler für die Konkurrenz sind im Grunde genommen erstaunlich stabil. Deshalb habe ich in der diesjährigen Aktualisierung (statistik.info 04/2015) zumindest eine grafische Neuerung versucht: Die Darstellung der Panaschiermatrix in einem "Chord-Diagramm", wie sie aktuell, dank einfacher Herstellungsmöglichkeiten z.B. in R, populär sind.
Ganz nett anzuschauen ist das, perfekt als teaser für den Twitter - und es gibt bestimmt einen ersten Überblick. Ob es freilich der traditionellen Darstellung wirklich klar überlegen ist, scheint mir hingegen eher fraglich ...
Wie Zürich im April – so die ganze Schweiz im Oktober
In wenigen Tagen wählen die Zürcherinnen und Zürcher ihr Parlament für die kommenden vier Jahre. Die Resultate dieses Urnengangs werden aber auch in der ganzen übrigen Schweiz mit grosser Spannung erwartet. Dies nicht allein, weil die Machtverhältnisse im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz an sich interessieren. Sondern auch weil ein Gemeinplatz besagt, dass die Entwicklung der Zürcher Kräfteverhältnisse bereits im April erahnen lässt, welche Parteien in den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen gewinnen oder verlieren werden.
Doch was taugt der Kanton Zürich als Barometer der eidgenössischen Grosswetterlage? Eine systematische Evaluation der Zürcher „Prognosen“ der letzten dreissig Jahre zeigt, wie es sich damit verhält.
Taugen Initiativen zur Mobilisierung der eigenen Basis? Die beiden wohl nicht.
Der Märztermin des Grosswahljahrs 2015 brachte der CVP und der glp üble Kunde: ein Doppel-Marignano wie dieses musste zuerst stattfinden, um glaubhaft zu sein. In der Sprache der Statistik: das waren Niederlagen auf einem 2σ Signifikanzniveau, die an Klarheit nichts zu wünschen liessen - vor dem Hintergrund der empirischen Evidenz seit es eidgenössische Volksabstimmungen gibt.
Über die tieferen Gründe kann man spekulieren: Die qualvollen Diskussionen um die Umsetzung der erfolgreichen Zweitwohnungs- und Masseneinwanderungsinitative mögen einen postkoitalen Überdruss des Stimmvolkes gegenüber Initiativen genährt haben, die wirklich Wesentliches zeugen sollten - das wird allerdings erst die Zukunft schlüssig zeigen. Immerhin: die Resultate der Mindestlohn-, Ecopop- und Goldinitiative und nun auch noch der Energiesteuer- und die Familieninitiative zeigen alle in dieselbe Richtung: thumbs down, fast alle haben ihr Fett abgekriegt, rechts-konservative, links-progressive - und nun auch noch die Mitte.
Interessant an den Zürcher Gemeinderesultaten des 8. März, die ich im Detail untersucht habe, ist nun, dass wahrscheinlich weder die Familieninitiative der CVP noch die Energiesteuerinitiative der glp auf nennenswerten Support ihrer eigenen Wählerschaft zählen konnte. Bei der Familieninitiative bestehen (schwache) Zusammenhänge mit den Wähleranteilen der andern Pro-Parteien (SVP; EVP, EDU) - nicht aber mit jenem der CVP:
Zum Parteienmix in der Zürcher Regierung
Regierungsratswahlen sind als Majorzwahlen zwar im Prinzip und in der Theorie Persönlichkeitswahlen. Der einzige "Unabhängige" in der Zürcher Regierung nach dem zweiten Weltkrieg war allerdings der legendäre Alfred Gilgen in seiner letzten von insgesamt sechs(!) Amtsperioden. Alle anderen segelten unter einer Parteiflagge. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Parteistärke und Regierungsvertretung ist deshalb legitim - zumal sich zeigen lässt, dass die Loyalität der Parteiwähler zu "ihren" Kandidaten hoch ist.
Die nächstens stattfindenden Zürcher Wahlen sind ein willkommener Anlass sich die Sache etwas genauer, das heisst in einer langfristigen Perspektive anzuschauen. Wie hängen die Wählerstärke der Parteien und ihre Regierungsvertretung zusammen? Gibt es Regelhaftigkeiten und wenn ja: sind sie dieselben geblieben oder haben sie sich entwickelt? Und nicht zuletzt - gesetzt der unwahrscheinliche Fall, die Vergangenheit wäre relevant für die Zukunft: was könnte das für den 12. April bedeuten? Mehr dazu in "Wählerstärke und Regierungsvertretung im Kanton Zürich". Der Artikel von Adi Kaelin in der NZZ vom 21.3.2015 bezieht sich darauf und fasst die wesentlichen Erkenntnisse gut zusammen.
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